Wie sich die Pandemie nachhaltig auf Zusammenarbeit und Wettbewerb auswirken könnte
Während in Deutschland aus medizinischer Sicht die Corona-Pandemie in den Kliniken mit langsam ansteigenden Patientenzahlen gerade erst begonnen hat, finden zeitgleich bedeutende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen statt. Der Kampf gegen den Virus drängt dabei in der öffentlichen Debatte häufig andere Themen an den Rand.
So wird zum Beispiel die Freiheit der Menschen durch Ausgangsbeschränkungen in einem bisher unbekannten Maße eingeschränkt. Gleichzeitig führt die Corona-Pandemie zu dramatischen Veränderungen des Nachfrage- und Konsumverhaltens, die viele Unternehmen unvorbereitet trifft. Geradezu wie durch einen Tsunami wurde zum Beispiel der stationäre Einzelhandel getroffen, der von einem Tag auf den anderen gezwungen wurde, Geschäfte zu schließen und nach anderen Vertriebswegen zu suchen. Oftmals ist Online-Handel der einzige verbliebene Absatzkanal.
Das Ergebnis dieses Prozesses wird eine veränderte Wettbewerbslandschaft sein, in der sich vor allem solche Unternehmen behaupten, die sich dem veränderten Nachfrageverhalten anpassen. Momentan ist noch offen, wie weitreichend und wie nachhaltig die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Veränderungen sein werden.
Nachfolgend haben wir einige zentrale Thesen hierzu formuliert.
Die Big Five (Facebook, Amazon, Apple, Microsoft und Google) profitieren überproportional vom massiven Nachfrage-Schock nach Software für das dezentrale Arbeiten, Cloud-Computing und Fern-Zusammenarbeit (sog. „Collaboration Tools“, siehe auch den Artikel hierzu in der New York Times vom 23.03.2020). Durch die Corona-Krise können die genannten fünf Unternehmen ihre Marktmacht weiter ausbauen. So berichtet z.B. Microsoft am 19.03.2020 im unternehmenseigenen Blog, dass die Nutzerzahlen der Videokonferenz-Software Teams innerhalb einer Woche um knapp 40% (12 Mio. Nutzer) auf 44 Mio. täglicher Nutzer angestiegen ist.
Amazon profitiert nicht nur als Online-Händler, sondern ist mit seinem Cloud-Service aws internationaler Marktführer (Marktanteil 2019: 35%) und liefert die wichtige IT-Infrastruktur, die zukünftig noch stärker gefragt sein wird, z.B. für Software as a Service (SaaS) Plattformen, die jetzt für viele Unternehmen von zunehmender Bedeutung wird um etwa ERP-Software oder Finanzbuchhaltungsdaten dezentral zu speichern. Die zu Facebook gehörende Social-Media App WhatsApp hat während der Corona-Krise seine Nutzerzahlen zwischenzeitlich um 40% steigern können.
Der deutsche Einzelhandel ist bereits vor dem Einbruch der Corona-Krise stark unter Druck geraten. Zwar errechnet das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) ein Gesamtwachstum des Einzelhandels von 134 Mrd. EUR im Zeitraum von 2010 bis 2019. Werden hiervon jedoch das Umsatzwachstum des Auslandsgeschäfts sowie des Groß- und Onlinehandels abgezogen, verringert sich das Umsatzplus auf 53 Mrd. EUR. Bei weiterem Abzug des Umsatzwachstums von knapp 38 Mrd. EUR im Lebensmitteleinzelhandel konnte der übrige stationäre Einzelhandel im Zeitraum zwischen 2010 und 2019 lediglich ein Umsatzplus von 15 Mrd. EUR erwirtschaften. Dies entspricht einem durchschnittlichen Wachstum von nur 1,7 Mrd. EUR pro Jahr. Verändertes Kaufverhalten und der ungebrochene Trend zum Online-Handel bedrohen viele stationäre Einzelhändler. Das IFH rechnet – je nach Szenario – damit, dass bis 2030 zwischen 26.000 und 64.000 Einzelhändler vom Markt verschwinden werden.
Die derzeitige Corona-Krise verstärkt die Probleme des Einzelhandels wie in einem Brennglas. Laut Handelsverband Deutschland (HDE) büßen die deutschen Nicht-Lebensmittelhändler durch die Corona-Maßnahmen aktuell ca. 1,15 Mrd. EUR Umsatz pro Tag ein, während Mieten in Höhe von 4,4 Mrd. EUR pro Monat unverändert anfallen. Zwar ist auch der Onlinehandel, laut IFH Geschäftsführer Kai Hudetz, vor Umsatzrückgängen nicht geschützt, da in Krisenzeiten die Konsumbereitschaft generell sinkt. Andererseits könnte der Onlinehandel durch verstärkte Kaufverlagerungen ins Internet auch von der Krise profitieren. Die Branche ist angesichts des veränderten Kauf- und Konsumverhaltens gezwungen, sich nach überstandener akuter Krise durch die Ladenschließungen gleichzeitig mittel- bis langfristig strategisch zu restrukturieren.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Transformation ist die Handelskette Douglas, die mit dem Ausbau ihrer Online-Aktivitäten im abgelaufenen Geschäftsjahr 2018/19 in die Gewinnzone zurückgekehrt ist. Gleichzeitig konnten die Umsätze im Filialgeschäft im Geschäftsjahr 2018/19 entgegen dem Branchentrend gesteigert werden (mit einem Umsatzplus i.H.v. 0,8% im europäischen Filialgeschäft).
Nach einer langen Durstrecke und starken Verlusten hatte der Finanzinvestor CVC Douglas 2015 übernommen. Das Online-Geschäft wurde seit 2015 massiv ausgebaut und mit dem Filialgeschäft verknüpft. Weiterer Grund für die erstmalige Rückkehr zu schwarzen Zahlen im Geschäftsjahr 2018/19 war eine intelligente, margenstärkende Preisstrategie sowie konsequente Kostendisziplin. Außerdem wurde Shopping-Events mit speziellen Angeboten etwa zum „Black Friday“ und zum „Singles‘ Day“ erfolgreich vermarktet. Durch die eingeleitete und in großen Teilen schon umgesetzte Transformation scheint Douglas gut gerüstet für die nun unruhigen Zeiten durch den Ausbrauch der Corona-Pandemie.
Wir haben uns kurzerhand entschieden, den für Frühjahr geplanten Start unseres Online-Shops vorzuziehen, um unseren Kunden trotz der flächendeckenden Einschränkungen im Einzelhandel einen Anlaufpunkt für STIHL Gartengeräte, Zubehör und Co. zu bieten.
Ein weiteres Fallbeispiel ist der Onlineshop des Hersteller Stihl, der besonders für seine Kettensägen bekannt ist. Mitten in der Corona-Krise ist ein neuer Online-Shop für Gartengeräte live gegangen. Der Hersteller ist ein Beispiel, wie sich Händlern durch intelligente Vernetzung auch in Corona-Zeiten Chancen bieten. „Wir haben uns kurzerhand entschieden, den für Frühjahr geplanten Start unseres Online-Shops vorzuziehen, um unseren Kunden trotz der flächendeckenden Einschränkungen im Einzelhandel einen Anlaufpunkt für STIHL Gartengeräte, Zubehör und Co. zu bieten.“, so das Unternehmen in einer Meldung vom 23.03.2020. Die Handelspartner sind dabei in den Online-Shop integriert, so dass dem Kunden beim Kauf ein nahegelegener Fachhändler empfohlen wird. Dieser soll der persönliche Ansprechpartner vor Ort bleiben und bietet Beratung und professionellen Service. Für die Bereitstellung dieser Leistungen soll der lokale Händler beim Kauf eine Vergütung von Stihl erhalten.
Spätestens jetzt müssen viele Unternehmen Maßnahmen zur Anpassung ihrer IT-Infrastruktur umsetzen, um kurzfristig handlungsfähig und zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies umfasst den Zugang zur Datenstruktur der Unternehmen, dem gemeinsamen Arbeiten an Dokumenten und Projekten bis hin zur stärkeren Nutzung von Videokonferenzen und Webinaren als Alternative für die persönliche Begegnung.
Klar ist, dass virtuelle Werkzeuge die persönliche Begegnung nicht vollständig werden ersetzen können. Ebenso klar ist aber auch, dass die erzwungene Umstellung auf alternative Formen der Zusammenarbeit einen dauerhaften Effekt haben wird. In einem Podcast-Interview mit Daniel Roth, dem Gründer von LinkedIN, prognostiziert Bill Gates, dass die Pandemie der Digitalisierung einen Schub geben und dass es zum Beispiel in Zukunft weniger Geschäftsreisen geben wird.
Videokonferenzen, Webinare, Video- und Podcasts ermöglichen den direkten Kundenkontakt auch in Zeiten von Corona. Aus den Erfahrungen der kommenden Wochen lassen sich wichtige Erkenntnisse in Bezug auf den Marketing-Mix der Zukunft ableiten. Unternehmen sollten sich daher fragen: passt der Marketing-Mix? Habe ich die notwendigen Ressourcen, um technisch und personell wettbewerbsfähig zu bleiben? Wenn nicht, wie kann ich die Ressourcen und das notwendige Wissen dazu aufbauen oder entwickeln?